Sehbehinderte fordern schweizweite Einführung von E-Voting

An einer Kundgebung in Lausanne haben heute Samstag Menschen mit Sehbehinderung die rasche und schweizweite Einführung von E-Voting gefordert. Die eidgenössischen Wahlen vom Oktober müssten die letzten Wahlen gewesen sein, an denen sie nicht autonom teilnehmen können.

 

Nach dem Motto: «Sehbehinderte fordern: barrierefreie Wahlen jetzt!» haben heute in Lausanne Menschen mit Sehbeeinträchtigung aller Altersgruppen darauf aufmerksam gemacht, dass ihnen das Recht auf die gleichberechtigte Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen weiterhin verwehrt ist. Denn: Sie können in der Schweiz zumeist nicht autonom abstimmen und wählen, weil sie die Wahlzettel nicht lesen und nicht handschriftlich ausfüllen können. Die Betroffenen müssen die Hilfe von Drittpersonen beanspruchen, was das gesetzlich garantierte Stimmgeheimnis verletzt. Der organisierende Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband SBV und seine Mitglieder fordern deshalb seit langem die schweizweite Einführung von E-Voting.

Nationale Wahlen 2023: die letzten, die Behinderte ausgrenzen

Gemäss der von der Schweiz ratifizierten UNO-BRK ist die Schweiz seit 2014 verpflichtet sicherzustellen, dass die Wahlverfahren, -einrichtungen und materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind. Solange die Wahlunterlagen aber weiterhin nur in Papierform zugestellt werden und von Hand ausgefüllt werden müssen, wird Menschen mit Sehbehinderung die autonome Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen verwehrt. Das ist diskriminierend! Die Kundgebungsteilnehmenden fordern daher aus Anlass des Tags der Demokratie vom 15. September, dass die eidgenössischen Wahlen vom Oktober 2023 die letzten sein müssen, die Behinderte ausgrenzen, weil sie nicht barrierefrei sind.

Digitale Möglichkeiten einsetzen

Es ist kein Zufall, dass gerade blinde und sehbehinderte Menschen endlich die Einführung des E-Votings fordern. Denn für die rund 400'000 sehbehinderten Personen, die in der Schweiz leben und arbeiten, sind die digitalen Mittel bereits heute vielfach fester Bestandteil ihres Lebens. Der SBV hat deshalb kürzlich die Kampagne «Digitale Barrierefreiheit. Jetzt» lanciert, mit der er die Wirtschaft, die Politik und die Öffentlichkeit auf die diesbezüglichen Bedürfnisse von Menschen mit Sehbeeinträchtigung sensibilisieren will.

Botschaften der Redner:innen:

An der Kundgebung vertraten verschiedene betroffene Persönlichkeiten klare Botschaften.

Carla Renaud, Verbandsvorstand des SBV: «Das heutige System mit den Stimm- und Wahlzetteln behindert mich als sehbehinderte Person. Weil ich diese nicht eigenständig ausfüllen kann, muss ich eine Person beiziehen, die mir hilft. Das ist unwürdig!»

Marianne Plüss, betroffene Nationalratskandidatin aus dem Kanton Bern: «Auch Menschen mit Sehbehinderung und Blinde müssen ihre politischen Rechte ausüben können. Deshalb fordere ich die rasche und flächendeckende Einführung des E-Votings.»

Cyril Mizrahi, betroffener Nationalratskandidat und SP-Kantonsrat aus dem Kanton Genf: «Den Wahlzettel selbst ausfüllen: Das war auch für blinde und sehbehinderte Menschen, die mit dem E-Voting "aufgewachsen" sind, eine Selbstverständlichkeit. Bis zu seiner plötzlichen Einstellung. Wir fordern einfach, dass dies wieder möglich ist, denn wir sind keine Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse!»

Verena Kuonen, betroffene Nationalratskandidatin aus dem Kanton Waadt und Co-Präsidentin von Inclusion Handicap prangerte die mangelnde Vertretung von behinderten Personen im Bundeshaus an: «In der Schweiz leben 22% der Bevölkerung mit einer Behinderung. Unter der Bundeskuppel sind es weniger als ein halbes Prozent. Suchen Sie nach dem Fehler! "Nichts für uns ohne uns"».

Auch verschiedene nicht selbst betroffene Politiker:innen solidarisierten sich mit den Menschen mit Sehbehinderung.

Raphaël Mahaim, Nationalrat Grüne aus dem Kanton Waadt: «Die Demokratie beruht auf Vielfalt und der Beteiligung aller Menschen. Es ist nicht hinnehmbar, dass es im 21. Jahrhundert für grosse Teile der Gesellschaft immer noch Hindernisse beim Wählen gibt!»

Jean Tschopp Waadtländer Kantonsrat SP: «Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen setzt voraus, dass sie an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen und sich voll und ganz am öffentlichen Leben beteiligen können.»

Kontakt

Pierre Calore, Präsident SBV-Sektion Vaud, +41 79 330 16 33

Martin Abele, Leiter Interessenvertretung und Kommunikation +41 79 123 99 65,
martin.abele@sbv-fsa.ch